
Was für ein seltsames Wort – Gnade. Irgendwie scheint es fast, als ob wir es irgendwann verloren hätten. Möglicherweise ist es nur ein wenig verstaubt oder gut versteckt in der kirchlichen Obhut. Heute würden wir dazu vielleicht „Bubble“ sagen.
Dabei gibt es kaum einen Begriff, der theologisch bedeutungsvoller ist, mehr Sprengkraft hat. Vermutlich liegt das daran, dass Gnade die Steigerungsform von allem ist
und damit die Latte am höchsten liegt,
wenn es um den Anspruch der Umsetzung
im täglichen Leben geht.
In mir schlummert beispielsweise so ein (kleines) Bedürfnis nach einer Gegenaktion, einer Gegenleistung oder einer Reaktion. Eigentlich immer. Auch wenn ich noch so selbstlos großzügig bin, hätte ich schon
gern ein Danke. Und selbst wenn ich einfach nur mit dem Auto stehenbleibe, um wem
anderen die Vorfahrt zu lassen (wir reden noch nicht vom einzigen freien Parkplatz), empfinde ich mich als sehr „gnädig“ und erhoffe mir zumindest ein dankbares Lächeln.
Nichts ist umsonst – „alles kommt ja irgendwann/-wie zurück“, „eine Hand wäscht die andere“, ... die eine oder andere Gegenleistung – wäre schon fein. Wo kommen wir denn sonst hin? Da würden wir ja sonst irgendwann ganz blöd dastehen. Völlig
ausgenützt. Die Spielregel der Welt lautet darum „um zu“. Die biblische Erfolgsregel lautet „einfach so“. Das ist Gnade, Geschenk. Das ist unser Glaube auch. Alles beginnt
mit der Gnade – glauben, vertrauen, hoffen zu können – geliebt zu sein. Einfach so.
Ohne Vorleistung. Ohne Erwartungen.
Und genau diese Erfahrung oder eine Ahnung davon, weckt das Göttliche in uns,
bewirkt, dass wir uns in Richtung Freiheit entfalten. Was für eine Zusage für ALLE: „Nahe ist dir das Wort“ ...
Andrea Geiger ist Projektassistentin
im Pastoralamt der Katholischen
Kirche Vorarlberg.