
Die Psychotherapeutin Christine Bauer-Jelinek schreibt in einem ihrer Bücher über die „helle“ und die „dunkle“ Seite der Macht. Einen machtfreien Raum gibt es nicht. Entscheidend ist der Umgang damit und welche Werte dahinterstehen. An das Buch von Bauer-Jelinek muss ich denken, wenn ich auf den Lesungstext aus dem Buch Micha blicke.
Der Text beschreibt einen zukünftigen Herrscher, der aus dem kleinen Betlehem kommen wird und das Volk mit Weisheit und Gerechtigkeit regiert. Diese Vision stellt die gängige Vorstellung von Macht infrage, die mit Gewalt, Unterdrückung und Streben nach Herrschaft verbunden ist. Auf der „dunklen“ Seite der Macht geht es oft um Dominanz. Macht wird hier durch militärische Stärke, Manipulation und das Ausnutzen von Schwächen ausgeübt. Menschen, die auf diese Art von Macht zurückgreifen, setzen auf Zwang, um ihre Interessen durchzusetzen. Diese Art der Macht kann kurzfristige Erfolge erzielen, führt jedoch häufig zu Konflikten, Leid und Ungerechtigkeit.
Die erste Lesung präsentiert eine andere Seite der Macht. Der angekündigte Herrscher wird nicht durch Gewalt regieren, sondern durch Fürsorge, Weisheit und Dienst am Volk. Das Bild des Hirten, der die Schafe führt, ohne sie zu beherrschen, deutet auf eine Macht hin, die auf Verantwortung baut. Diese Macht wird das Land mit Gerechtigkeit und Frieden regieren und die Menschen zu einem sicheren Leben führen. Sie wird heilen, verbinden und Stabilität bringen. Diese Art von Macht beruht auf einem tiefen Verständnis für das Wohl der Gemeinschaft.
Der Text lädt ein, über Macht im Allgemeinen nachzudenken, welche Rolle wir selbst dabei spielen und was das Wort „Macht“ in uns auslöst.
Stefanie Hinterleitner ist Pastoralassistentin in der Linzer Dompfarre und in der Martinskirche Linz. Kontakt: sonntag@koopredaktion.at
Aus dem KirchenBlatt Nr. 47 vom 19. Dezember 2024. Zum Login der Digital-Ausgabe
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