Joachim Schwald
„Alle Geschöpfe haben etwas Sichtbares und Unsichtbares. Das Sichtbare ist schwach, das Unsichtbare stark und lebendig.“ Dieses Zitat wird der hl. Hildegard von Bingen zugeschrieben. Hildegard von Bingen (1098–1179) war eine der bedeutendsten Frauen des Mittelalters, eine Visionärin, Mystikerin, Äbtissin, Komponistin, Heilkundige und eine der ersten Frauen, die in der mittelalterlichen Kirche eine bedeutende theologische und literarische Rolle spielten.
Auch wenn die Heilige heute meist nur noch über ihre Heilkunde wahrgenommen wird, so ist sie besonders für ihre mystischen Visionen bekannt, die sie seit ihrer Kindheit hatte und im Alter über 40 Jahren in ihren Werken „Scivias“ („Wisse die Wege“) und „Liber Divinorum Operum“ („Buch der göttlichen Werke“) niederschrieb. Ihre Visionen beinhalteten sowohl kosmologische als auch spirituelle Themen und lieferten ihr eine tiefe Einsicht in das göttliche Wirken in der Welt. Sie sah sich selbst als Prophetin, die von Gott dazu berufen wurde, diese Wahrheiten zu offenbaren und den Menschen zu helfen, die göttliche Ordnung zu verstehen.
„Sie selbst nannte sich einmal ‚die Posaune Gottes‘“, weiß Theologe Markus Hofer. „In Briefen und Predigten blies diese Posaune manchen den Marsch, nicht zuletzt den hohen Kirchenmännern. So warf sie dem Bischof von Speyer seine „feiste Natur“ vor und den Erzbischof von Köln nannte sie schlichtweg einen „räuberischen Habicht“. Sie mahnte zu besserem Ordensleben, zur inneren Umkehr und übte offen Kritik an herrschenden Missständen auch in der Kirche“, so Hofer weiter.
Hildegard war nicht nur Prophetin und Naturkundlerin, sondern auch Dichterin und Komponistin. Sie besaß eine schöpferische Fähigkeit für Wort, Ton und Klang. Niemand weiß, woher sie auch noch diese Gaben hatte, denn Schulbildung genoss sie keine.
Ihre Musik ist einzigartig und markiert einen Höhepunkt der Gregorianik. Sie erschuf eine eigene musikalische Form, die in der Geschichte der Kirchenmusik herausragt, da sie die traditionellen Gesänge um innovative Melodien und tief religiöse Inhalte bereicherte. 77 Lieder sind von ihr erhalten, wobei jeweils Text und Komposition von ihr stammen. Die Dichtung zeugen alle von einer hohen religiösen Poesie. Die Lieder wurden im Rahmen des liturgischen Gesangs vermutlich von den Schwestern ihres Klosters gesungen. Durchweg sind es Lobgesänge auf Heilige, Märtyrer, Apostel oder Propheten. Der größte Teil der Lieder preist aber die Jungfrau Maria.
Diesen Samstag, 16. November, setzt die Pfarre Götzis unter dem Motto „Mystische Klänge“ einen Hildegard von Bingen Schwerpunkt. So wird um 18.30 Uhr ein Gottesdienst mit Gesängen der hl. Hildegard gefeiert. Im Anschluss daran findet ab 19.30 Uhr ein Konzert mit Poesie der Heiligen statt. Während Dorit Wilhelm Texte der Heiligen liest sorgt Aglaia Maria Poscher-Mika mit ihrem Gesang und ihrem Spiel am indischen Harmonium für berührende Stimmung im Kirchenraum. „Der hl. Hildegard von Bingen ist es gelungen, Unsichtbares sichtbar und zugänglich zu machen, seien es mystische Klänge, sei es ihre Weisheit in den verschiedensten Bereichen oder auch ihre Medizin“, zollt Pfarrer Rainer Büchel der Heiligen großen Respekt und sieht dem Konzert am Samstag mit großer Vorfreude entgegen.
Aus dem KirchenBlatt Nr. 42 vom 14. November 2024. Zum Login der Digital-Ausgabe
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