„Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“: Dieses bei Markus überlieferte Jesus-Wort gehört zu den bekanntesten Stellen des Neuen Testaments. Es bringt drastisch und in aller Klarheit auf den Punkt: Das Reich Gottes, das Jesus verkündet, hat auch ganz irdische und materielle Konsequenzen. Um das ewige Leben zu erlangen, sagt Jesus, reicht es nicht, die in der Tora aufgezeichneten Zehn Gebote zu erfüllen. Sondern er fordert in einem Zwiegespräch einen seiner Anhänger auf, darüber hinaus seinen materiellen Besitz aufzugeben. Als der Mann daraufhin traurig weggeht, weil er dieser Forderung nicht nachkommen kann, antwortet Jesus mit dem berühmten Kamel-Zitat. Er stößt seine Jüngerinnen und Jünger damit vor den Kopf, die dann bezweifeln, dass überhaupt jemand ins Reich Gottes kommen kann.
Für mich ist diese Redeweise Jesu aber eine paradoxe Intervention, die er dann selber anspricht: Für Menschen mag Derartiges unmöglich scheinen, aber „für Gott ist alles möglich“. Damit ist aber keineswegs gemeint, dass es der barmherzige Gott dann schon richten wird. Wenn Jesus drastisch redet, so sollen sich die Menschen auch im Wortsinn betroffen fühlen.
Eine zentrale Botschaft des Evangeliums lautet: Kümmert euch um die Armen, auch und gerade unter Preisgabe der eigenen materiellen Quellen. Hier bringt das Evangelium eine soziale und politische Botschaft direkt mit der Zukunftsverheißung des ewigen Lebens in Verbindung. Christinnen und Christen sind radikal gefragt – als Global Player, in Österreich und auch im ganz persönlichen Umfeld.
Otto Friedrich ist Religionsjournalist, er war bis April 2024 stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Furche“. Kontakt: sonntag@koopredaktion.at
Aus dem KirchenBlatt Nr. 36/37 vom 3. Oktober 2024. Zum Login der Digital-Ausgabe
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