Von Sr. M. Anastasia Franz
Es scheint ein urmenschliches Bedürfnis zu sein, für empfangene Gaben zu danken: Erntedank gab es schon in vorchristlicher Zeit:
In Japan wird zum Bespiel bis heute den Göttern frischgeernteter Reis geopfert. Der Tag wird als Fest des Dankes für die Arbeit begangen. In den ländlichen Gebieten Chinas werden Kartoffeln, Pomelo-Früchte, Mondkuchen und Geflügel in die Tempel gebracht.
Erntedankfeste mit entsprechenden Riten gab es auch in Nordeuropa, im Römischen Reich, Griechenland und im Judentum. Davon zeugt das Alte Testament:
Der erste biblische Hinweis auf die Darbringung von Feldfürchten und Erstlingstieren steht im vierten Kapitel des Buches Genesis in den Versen 3 bis 5: Der ältere Bruder Kain bringt Gott ein Opfer von den Feldfürchten dar, der jüngere, Abel, opfert ein erstgeborenes Tier aus seiner Herde.
Im Judentum gibt es zwei Erntefeste: Das Schawuotfest (Wochenfest) 50 Tage nach dem Pessachfest und das Sukkotfest, auch Laubhüttenfest genannt:
An Schawuot wird der erneuten Gabe der Zehn Gebote am Berg Sinai gedacht. (Mose hatte ja die steinernen Gebotstafeln wegen der Anbetung des goldenen Kalbes zerschmettert.) An diesem Fest wurde in Israel der erste Weizen geerntet. Viele Juden schmücken ihre Häuser. Auch die Synagoge ist geschmückt. Die Zehn Gebote werden mit einer besonderen Melodie vorgesungen. Manche Gläubige studieren dort in der Nacht die Tora, also die ersten fünf Bücher der Bibel. Beim Morgengrauen rezitieren sie gemeinsam, das „Höre Israel“.
Traditionell wird Milch getrunken, dazu werden süße, milchige Speisen (Eierkuchen mit Quark, Käsekuchen usw.) und Honig gegessen, da die Tora, mit Milch verglichen wird, die das Volk Israel wie ein unschuldiges Kind trinkt.
Das Sukkotfest oder auch Laubhüttenfest, ist das eigentliche Erntedankfest. Im Lauf der Jahrhunderte hat es sich verändert. Ursprünglich war es das Fest des „Einsammelns“, also der Ernte. Erst später wurde es zum Laubhüttenfest, an welchem die Juden bis heute Laubhütten bauen und eine Woche lang in ihnen wohnen. Es erinnert an die Zeit der 40-jährigen Wüstenwanderung, in welcher das Volk Israel umherzog und keine feste Bleibe hatte.
Christ:innen verschiedener Konfessionen feiern Erntedank. Dies kann bewusst machen, dass der Mensch für die Schöpfung verantwortlich und von der Natur abhängig ist. Das Fest ist eine gute Gelegenheit, Kindern wie Erwachsenen den Wert unserer Lebensmittel deutlich zu machen und zu erklären, dass Brot, Obst und Gemüse nicht im Supermarkt wachsen und wie viel Arbeit von der Aussaat bis zur Ernte dahintersteckt.
Mit den Erntedankfeiern bringen die Menschen die Freude über die Ernte und den Dank für Gottes Fürsorge zum Ausdruck.
Und Sie? Wofür sind Sie dankbar? Vielleicht mögen Sie sich das auf einem Spaziergang durch die Natur oder im stillen Kämmerlein überlegen.
Aus dem KirchenBlatt Nr. 36/37 vom 3. Oktober 2024. Zum Login der Digital-Ausgabe
Noch kein Abo? Dann gleich eines bestellen