Was hat Sie zum Pilgern bewegt?
Martin Strobl: Seit 40 Jahren kenne ich den Jakobsweg und habe auf die Gelegenheit gewartet, den Weg in einem Stück zu laufen. Etappen kamen für mich nicht in Frage, für mich war klar – ich gehe von Lustenau nach Santiago. Zudem wandere ich gern und wollte als Christ die Pilgerfamilie und diesen Weg durch Europa kennenlernen. Als die Pension dann näherkam, wollte ich sichergehen, dass ich richtig in mein neues Leben starte, sinnlosen Ballast abwerfe und alles, was übrig ist, weglasse. Ich habe mein Leben lang als Zimmermann gearbeitet und in den letzten Jahren beobachtet, wie sich fleißige Kollegen in der Pension entschieden, nichts mehr zu machen und dadurch zugrunde gingen. Das war eine zusätzliche Bestätigung für mich, auf die Reise zu gehen.
Sind Sie jemandem auf Ihrer Reise begegnet?
Strobl: Ja. Ich habe viele Menschen mit verschiedenen Glaubensrichtungen und von unterschiedlichen Nationen kennengelernt. Wir alle waren Teil der Pilgerfamilie, das konnte ich spüren. Zusammen mit Anna, einer Spanierin habe ich sogar ein Pilgerlied gedichtet, das wir gemeinsam auf unserem Weg gesungen haben und mit anderen Pilgern teilten. Viele habe ich mehrmals gesehen, mal vor mir, mal hinter mir, aber immer mit mir.
Habe Sie einmal daran gedacht umzukehren?
Strobl: Nein, eher im Gegenteil. Auf meiner Reise durch die Schweiz hatte ich Pech mit dem Wetter. Als ich in der Nähe von Genf war, hat es furchtbar geregnet und ich war bis auf die Knochen durchnässt. Da dachte ich mir – jetzt erst recht, ich gebe nicht auf. Umso schwerer und anstrengender der Weg, desto größer ist die Freude danach.
Wie sah ein typischer Tagesablauf aus?
Strobl: Aufgestanden bin ich ohne Wecker gegen sechs Uhr. Danach gab es ein Frühstück, entweder unterwegs oder in der Herberge. Geld hatte ich für zwei Tage dabei, um Essen und etwas zu trinken zu kaufen. Wasser hatte ich nie mehr als einen halben Liter dabei – je weniger Gepäck, desto besser. Und dann bin ich gelaufen, circa 40 Kilometer pro Tag. Am Ende des Tages bin ich dann bei einer Unterkunft, die es entlang der ganzen Strecke gibt, eingekehrt.
Was hat Sie auf Ihrer Reise überrascht?
Strobl: Dass die Pilgerurkunde in Spanien so begehrt ist. Am Ende meiner Reise in Santiago im Pilgerbüro gab es 10 Schalter, bei denen man sich eine Urkunde abholen konnte. Ich bin zufällig an einem Sonntag mit 2000 anderen Pilgern angekommen und mir wurde geraten, gut auf meine Dokumente aufzupassen. In Spanien bekommt man leichter einen Job, wenn man diese Urkunde vorweisen kann, deshalb wird sie oft gestohlen.
Was war das Schönste am Pilgern für Sie?
Strobl: Die Pilgerfamilie, die ich dort kennenlernen durfte. Viele Leute nehmen einen Stein aus ihrer Heimat mit und legen ihn auf dem Weg nieder. Der Stein ist sinnbildlich für Probleme oder Lasten, die man hat. Für mich war das anders, ich bin nicht mit Problemen los, sondern mit Freude und habe die Menschen, denen ich auf meiner Reise begegnet bin, als das Schönste empfunden. Deshalb entschied ich mich, ihnen meine Steine aus der Heimat zu schenken. Natürlich war es auch ein besonderes Erlebnis, am Ende in Spanien anzukommen. Für mich sind Menschenmassen nichts Feines aber dort war es anders. Ich habe noch nie so viele glückliche Menschen an einem Ort gesehen. Sie sind einander in die Arme gefallen und haben Freudentränen geweint, ich natürlich auch. Es war wirklich der beste Weg meines Lebens.
Was haben Sie auf Ihrer Reise gelernt?
Strobl: Weniger ist mehr. Ich war bei meiner Rückkehr in Lustenau mit Rucksack leichter als vorher ohne und war dennoch reicher als zu Beginn. Ich habe im Laufe der Reise viel verschenkt und gemerkt, dass ich viele Dinge gar nicht so sehr brauche wie ich geglaubt habe.
Ist Ihnen etwas besonders in Erinnerung geblieben?
Strobl: In Frankreich sagten die Menschen oft „Courage! Courage!“, als sie von meiner langen Reise hörten. Gemeint war damit der Mut, sich etwas zu trauen und aus der Komfortzone auszubrechen. Dieses Wort hat mich im Kopf begleitet und geleitet. Dadurch habe ich mich auch getraut, das Lied mit der Spanierin zu machen und aufzunehmen.
Wie geht es jetzt für Sie weiter?
Strobl: Für mich ist jetzt mein Umfeld wichtig. Es gibt viele Orte in Österreich, die ich noch nicht kenne und mit meiner Frau entdecken möchte. Mir ist auf meiner Reise auch bewusst geworden, wie schön wir es hier haben. „Mach das Beste aus dem was du hast mit dem was du kannst“, der Spruch gefällt mir sehr.
Anna Kadisch