Im Rahmen der KirchenBlatt-Serie teilt der langjährige Caritas-Seelsorger, Mitbegründer der Hospizbewegung in Vorarlberg und Russ-Preis-Träger, Elmar Simma, seine Gedanken zum Advent.
In jener Zeit wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt. (Lk 1,25)
Die erste große Initiative Gottes war der Schöpfungsakt, als er sprach: Es werde Licht, und es ward Licht (Gen 1,3), als er den Kosmos und die Erde ins Dasein rief, wie es in der Schöpfungserzählung heißt. Und warum hat er uns Menschen erschaffen bzw. in der Evolution werden lassen? Die einzige unglaubliche und dennoch überzeugende Antwort lautet: Weil er ein Gegenüber brauchte, dem er seine Liebe schenken kann und das fähig ist, auch selbst zu lieben.
Die zweite Initiative Gottes zeigt die Verkündigungsgeschichte. Auch hier setzt er einen Anfang, um uns Menschen aus dem heillosen Zustand herauszuholen. Er macht ebenfalls den ersten Schritt, als der Erzengel Gabriel Maria ankündigt, sie solle die Mutter des Erlösers werden, und Josef im Traum aufgefordert wird, Maria zu sich zu nehmen. Zu Weihnachten wird sichtbar, wie Gott mit uns neu anfängt, nämlich ganz unten, indem er als Menschenkind geboren und somit einer von uns wird. Er ist ein heruntergekommener Gott, ganz anders als wir es uns ausdenken würden und teilt unser Leben von der Geburt bis zum Sterben. Er „beginnt“ als Kind, das weint, gestillt werden muss, in die Windeln macht wie wir alle. Unglaublich. Er braucht Zärtlichkeit, Liebe, Zuwendung – von uns Menschen.
Gott ist ein eingefleischter Mensch, wörtlich, einer wie wir alle, wenn wir leidenschaftlich gerne etwas tun. Wir sind seine Leidenschaft, obwohl wir so viele Leiden schaffen in dieser gequälten Welt. Gott steckt jetzt in unserer Haut. Er wird hautnah Mensch und sagt: „Ich teile mit euch die Hochzeiten und Tiefzeiten eures Lebens, weine eure Tränen und leide eure Ängste und eure Einsamkeit mit euch!“
Gott hat sich hineinlegen lassen – in die Krippe, in das Stroh, in den Stall, wo es Mist gibt. Ob Gott nicht auch – menschlich gesprochen – von uns „hineingelegt“ worden ist im Blick auf all das Schlimme, das in der Welt geschieht. Trotzdem bleibt er bei seinem endgültigen Ja zu uns.
Weihnachten ist die Liebeserklärung Gottes an uns Menschen. Karl Rahner schreibt: „Gott hat sein letztes, tiefstes, schönstes Wort an uns Menschen hineingesagt in unsere Welt, und dieses Wort heißt: Ich liebe dich, du Welt, du Mensch!“ Und es gibt überhaupt nichts, was uns von der Liebe Gottes trennen kann, wie Paulus schreibt.
Interessant ist, dass Gott bei diesem zweiten Anfang das Ja einer jungen Frau braucht. Er setzt seine Initiativen nicht ohne uns, sondern immer mit uns. Und seither gilt grundsätzlich: Gott bezieht uns mit ein, er will nur mit uns heilend und erlösend wirksam werden. Ich kenne viele Menschen, die das begriffen haben: Ich bin ein Werkzeug Gottes, mehr noch, seine Mitarbeiterin, sein Mitarbeiter, damit die Menschen in Freiheit und Frieden ohne Angst leben können.
Das praktizieren z.B. die Eltern, die ihre Kinder liebevoll erziehen, die vielen, die sich ehrenamtlich für andere einsetzen, alle, die sich im Beruf um eine gutes Miteinander bemühen, alle, die mit liebevollen Geschenken, auch Geld- oder Sachspenden anderen eine Freude bereiten. Durch all diese geschieht laufend Menschwerdung. Ich bin beeindruckt, wie viele junge Menschen sich im sozialen Bereich engagieren, aber genauso auch zahlreiche Erwachsene oder Ältere, die sehr aufmerksam und liebevoll für andere da sind.
Kommen wir zurück zu uns: Wenn wir uns bei einem Problem fragen, ob wir einen Schritt setzen und aktiv werden sollen, dann hat Gott schon vorher bei uns den Anfang gemacht. Er hat den Wunsch nach Veränderung in uns eingepflanzt und ermutigt uns auch, einen notwendigen Schritt zu setzen, alle Barrieren und Ängste zu überwinden. Gott will nicht, dass wir in beengenden, bedrückenden Zuständen verbleiben, sondern dass sich unser Leben zum Guten verändert.
Ich glaube, dass Gott bei jedem Weihnachtsfest auch bei uns persönlich die Initiative ergreift und in uns geboren werden will, in unserem Herzen zum Vorschein kommen will, in uns lebendig sein will. Die Gottesgeburt muss sich in uns ereignen. Sonst ist alles Drumherum vergeblich. Ich freue mich z.B., wenn auch zu Weihnachten Menschen die Gottesdienste mitfeiern, die sonst wenig in der Kirche zu sehen sind. In ihrer Erinnerung an früher, in ihrer Sehnsucht, im Berührt-Sein von der Weihnachtsbotschaft wirkt Gott immer aufs Neue.
Ein schönes Gedicht von Hilde Domin lautet: „Dem Wunder – leise wie einem Vogel – die Hand hinhalten.“ Wir könnten zu Weihnachten sagen: „Dem Wunder – leise wie einem Vogel – das Herz hinhalten.“ Ich wünsche uns allen, dass wir uns anrühren lassen von dem, was wir feiern.
Im Rahmen der KirchenBlatt-Serie teilt der langjährige Caritas-Seelsorger, Mitbegründer der Hospizbewegung in Vorarlberg und Russ-Preis-Träger, Elmar Simma, seine Gedanken zum Advent.