Dieser Adventruf des Täufers am Jordan ist uns allen bekannt: Bereitet den Weg des Herrn. (Mk 1,3) Er ist die Kennmelodie dieser Tage. Wir sollen in unserem Alltag mit dem Straßenbau beginnen, denn Gott möchte bei uns ankommen und wohnen. Gottes Sehnsucht ist der Mensch, nach wie vor. Auch heute sucht er einen Platz in unseren Herzen.
Damit die Verbindung zustande kommt, damit er als Wohnungssuchender bei uns ein Daheim findet, braucht es zweierlei. Wir müssen wie bei einem Brückenbau von beiden Seiten aufeinander zuarbeiten. Einerseits sind wir aufgefordert, wie Lukas schreibt, Gott einen Weg zu bahnen, Hügel abzutragen, Täler aufzufüllen, Krummes zu begradigen.
„Wenn wir Gott begegnen, beginnt die Welt zu blühen.“
Elmar Simma
Hügel, Täler und krumme Wege
Die Hügel sind ein Bild für das, was bei uns zu viel da ist? Ich denke da an die Unruhe, die Unzufriedenheit, die Maßlosigkeit, das Nur-auf-sich-Schauen.
Und die Täler? Sie stellen unsere Mängel dar. Es fehlt am Frieden allerorten. Es mangelt oft an der Sorge ums Gemeinwohl, das Gemeinsame. Man spricht manchmal oft von der Ich-Agentur. Bin ich mit meinen Wünschen wirklich das Wichtigste auf der Welt?
Und von den krummen Wegen muss ich gar nicht lange reden. Was läuft in der Kirche, auch in der Politik und in unserem Leben schon gerade? Der Auftrag des Täufers ist zeitlos aktuell.
Ein Weihnachtsgedicht von Kurt Rommel lautet:
„Wer kann mir sagen, wo Jesus Christus geboren ist?
Dort ist Christus geboren, wo Menschen beginnen, menschlich zu handeln,
und sich besinnen, die Welt zu verwandeln, dort ist Christus geboren.
Wer kann mir sagen, wann Jesus geboren ist?
Dann ist Christus geboren, wenn Menschen beginnen, menschlich zu handeln,
und sich besinnen, die Welt zu verwandeln, dann ist Christus geboren.“
Also dort, wo wir Brücken zu Menschen bauen, bauen wir sie gleichzeitig zu Gott.Wir müssen allerdings zugeben, dass wir uns doch auch schwer tun mit dem biblischen Straßenbau. Deshalb hat Gott von seiner Seite aus schon längst vor uns begonnen, einen Weg zu uns zu bahnen. Bevor der Bußprediger Johannes auftritt, spricht Gott durch den Propheten Baruch im 2. Jahrhundert vor Christus fast mit den gleichen Worten wie der Täufer: Die Berge sollen sich senken, die Täler sich heben, ich führe euch heim in Freude, ich trage euch wie in einer königlichen Sänfte. (Bar 5,1-9) Die führende Schicht der Juden war 597 vor Christus nach Babylon deportiert worden, lebte dort in der Verbannung. Zu Fuß wurden sie fortgetrieben – die Juden aus Palästina, wie später auch die Hugenotten aus Frankreich, die Gefangenen von Stalingrad, die Sudetendeutschen, die Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern… Menschen mussten flüchten aus der Ukraine, aus dem Gaza-Streifen. Die Zahl der Vertriebenen und der Flüchtenden ist endlos. Damals sagte Baruch den Juden im Exil: Gott bahnt euch einen Weg in die Heimat und bewirkt, was Johannes Jahrhunderte später von den Leuten fordert, damit der Erlöser kommt.
Für uns heute heißt das: Gott bewirkt herwärts, also von sich aus, was wir Menschen von unserer Seite mühsam versuchen. Das scheint paradox zu sein, aber es passt zusammen. Mit einem anderen Bild: Gott reicht uns die rettende Hand, aber wir müssen sie ergreifen.
Eine chassidische Geschichte erzählt: Ein Rabbi fragte einige gelehrte Männer, die bei ihm zu Gast waren. „Wo wohnt Gott?“ Sie lachten über ihn: „Was redet ihr? Ist doch die ganze Welt seiner Herrlichkeit voll!“ Er aber beantwortete die eigene Frage: „Gott wohnt, wo man ihn einlässt!“
Hinter allen Worten vom Abtragen und Auffüllen und Begradigen steht die Frage, ob wir Gott hereinlassen, hereinholen in unser Leben und Herz, ob wir ihm Raum geben.
Blühende Dornen
Aber wir dürfen vertrauen, dass Gott gleichzeitig „von der anderen Seite“ uns entgegenkommt, und wenn wir ihm begegnen, beginnt die Welt zu blühen. Da wir am 8. Dezember Maria Empfängnis feiern, könnten wir die Bilder vom Wegbau ergänzen mit dem Aufruf: Fangt an, auch die „Dornen“ dieser Welt auszureißen. Von Maria singen wir, dass sie durch einen Dornwald ging. Aber sie hat im Herzen Jesus mitgetragen, und „da haben die Dornen Rosen getragen“. Noch erleiden oder erfahren wir viel Verletzendes, aber Gott kommt uns von der anderen Seite entgegen. Wenn wir uns begegnen, blühen sogar die Dornen.
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