Herr Pastoralamtsleiter, Papst Franziskus hat für 2025 das Heilige Jahr ausgerufen. Können Sie verraten, was die Diözese in diesem Jahr bezugnehmend auf dieses Ereignis geplant hat?
Martin Fenkart: Manchmal ist der wichtigste Pilgerweg der, den wir in uns selbst antreten – vom Herzen zum Verstand und wieder zurück. Denn Glaube wächst, wenn das Herz den Verstand führt oder der Verstand dem Herzen auf die Sprünge hilft. Das Heilige Jahr lädt uns ein, genau diese Reise zu wagen: eine Pilgerschaft, die Hoffnung schenkt. In Vorarlberg laden vier „Kirchen der Hoffnung“ zu Gebet, Stille, Segen und Begegnung ein. Für Rom-Pilgernde organisiert das Kirchenblatt Reisen. Sämtliche Angebote zum Heiligen Jahr gibt es auf unserer Homepage.
Zum fünften Mal jährt sich 2025 der Bibelsonntag als Auftakt zur Woche der Einheit der Christenheit. Welche Bedeutung hat die Heilige Schrift in Ihrem Leben bzw. in Ihrem Alltag?
Fenkart: Mit 16 Jahren habe ich begonnen, in der Bibel zu lesen, angeregt durch eine damalige Schulfreundin. Ich wusste nicht einmal, dass wir dieses „alte Buch“ zu Hause hatten und meine Eltern waren eher besorgt, dass ich mich plötzlich dafür interessierte. Mit der Zeit hat mich das „Buch der Bücher“ immer mehr fasziniert – es fordert und begleitet mich bis heute. Die Bibel ist nicht nur für „Fans“, sondern eine Quelle der Orientierung für jede und jeden. Sie gibt Antworten auf Fragen wie: Was gibt Halt? Wie können wir trotz aller Unterschiede zusammenhalten? Wie gehen wir mit der Welt um? Sie ist mir ein unverzichtbarer „Wegweiser“.
Ein großes Projekt war im Herbst 2024 das Diözesanforum im Bregenzer Festspielhaus. Mit einigen Monaten Abstand, was bleibt besonders in Erinnerung und wird es eine Fortsetzung geben?
Fenkart: Viele Teilnehmende haben sich für das Forum voller Freude bedankt. Wir konnten Mut machen. Das freut mich sehr. Nach vorne geblickt stehen wir vor Herausforderungen. Es scheint, als steuerten wir als Kirche ins Abseits, vor allem bei den jungen Menschen. Was gibt uns Orientierung? Der Blick auf den Auftrag Jesu, seine Botschaft zu verkünden und die kirchlichen Dienste der Nächstenliebe. Letztere erwartet auch die breite Bevölkerung von uns. Gleichzeitig müssen wir uns von Angeboten trennen, die kleine Minderheiten erreichen oder unsere Kräfte zu stark binden. Viel Energie sollten wir in die Kinder und Jugend investieren beispielsweise mit der Firmvorbereitung. Und auch wenn im ganzen deutschsprachigen Raum die Kirchenräume immer größer werden, bin ich davon überzeugt, dass es dazu eine Gegenbewegung braucht. Eine, die trotz größerer Kirchenräume einen Pioniergeist verbreitet, aus dem neue christliche Gemeinden gegründet werden – Gemeinden ohne „Vollversorgungsprogramm“ klassischer Pfarren, agil und nahe bei den individuellen Bedürfnissen (mobiler) Menschen.
Die pastorale Arbeit wird oft von Ehrenamtlichen getragen. Wie möchte die Diözese diese wichtige Säule in Zukunft unterstützen?
Fenkart: Ehrenamtliche sind unsere treibende Kraft – sie brauchen Raum, um zu gestalten und Unterstützung. Sie benötigen geistliche Inspiration, aber auch praktische Hilfe. Das Diözesanforum war ein Beispiel dafür, wie wir Menschen stärken können. Wir werden weiterhin Schulungen anbieten und Ehrenamtliche zusammenbringen. Besonders junge Menschen gilt es zu fördern. Ehrenamt braucht Wertschätzung.
Der Priestermangel ist ein Thema, das die Kirche seit Jahren beschäftigt. Könnte eine stärkere Einbindung von Laien die Priester in ihrer Arbeit entlasten?
Fenkart: Denken wir Kirche von den Priestern, vom Amt her oder von den getauften Frauen und Männern? Da verschiebt sich gerade was. Heute ist Kirche vor allem dort stark, wo eine Gemeinschaft von Menschen tragfähig ist und wo es gelingt, Brücken zu bauen zwischen „drinnen“ und „draußen“. Vom Gründungsauftrag her können wir nicht auf Menschen verzichten, die scheinbar nicht zur Pfarre passen. Kirche verspielt Innovationspotenzial, solange alle befähigten Getauften nicht volle Verantwortung in der Leitung einer Gemeinde übernehmen können. Kirche darf auch nicht nur Dienstleister durch Priester oder hauptamtliche Seelsorger:innen sein. Sie lebt vom Einsatz aller Getauften. Für sie braucht es viel mehr Ausbildung und Zuspruch.
Studien aus Deutschland haben ergeben, dass jede vierte bis fünfte Kirche in Zukunft nicht mehr in ihrer ursprünglichen Nutzung als reiner Gottesdienstraum genutzt werden wird. Sehen Sie eine ähnliche Entwicklung bei uns in Vorarlberg?
Fenkart: Unsere knapp 600 Kirchen und Kapellen sind keine Museen, sondern lebendige Räume, die vielfältig genutzt werden, und sei es nur bei einem kurzen Besuch, um eine Kerze anzuzünden. Kirchen sind „Gottesdiensträume“, aber auch Orte der Begegnung, des sozialen Miteinanders oder der Kunst und Kultur. Dies gilt es neu zu entdecken. Dafür braucht es vielerorts die Auseinandersetzung mit den Spezialist:innen des Bauamtes über eine zukunftsfähige Kirchenraumnutzung.
Gibt es neue Initiativen, um mehr Menschen, insbesondere junge Leute, für den Glauben und die Kirche zu begeistern?
Fenkart: Wir wollen vor allem unser Angebot für Jugendliche durch eine ansprechende Firmvorbereitung in den Pfarren verstärken. Es gibt zu bedenken, dass die letzte KMU-Studie (Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung in Deutschland) gezeigt hat, dass die Konfirmation bzw. Firmung für Menschen zu den prägendsten religiösen Momenten in ihrem Leben mit der Kirche gehören.
Wie könnte man die Menschen dazu motivieren, häufiger Gottesdienste zu besuchen? In England soll es interessante Projekte geben.
Fenkart: Volle Gottesdienste sind kein Selbstzweck oder Ziel in sich. Sie sind ein Weg, den Glauben mit anderen zu feiern. Eine gute Kirchenexpertin, die ich sehr schätze, vergleicht Gottesdienste mit „Jausenstationen“. Gottesdienste schenken uns Proviant für eine Wanderung zum Gipfel. Verschiedene Zielgruppen brauchen zwingend unterschiedliche Jausen-Stationen. Genau das kann man von der „Church of England“ lernen, aber auch: Gastfreundschaft, Sendungsbewusstsein, Lust auf Menschen oder strategische Neuausrichtung. Ich mag das Zitat des evangelischen Theologen Ralf Frisch, der meinte: „Die Kirche kann zwar nicht wie Jesus über Wasser gehen, dafür kann sie auf allen Wellen surfen.“ Wir dürfen nicht auf allen Wellen reiten. Was wir der Welt schulden, sind Gebet, gute Taten und das Reden von Gott.
Welche Themen sehen Sie für die Katholische Kirche in Vorarlberg für 2025 am Horizont?
Fenkart: Es ist nicht zu unterschätzen, welche Kraft von einer Gemeinde ausgehen kann. Rund um die Taufe eines Kindes, das Fest einer Erstkommunion oder den Tod eines nahestehenden Menschen sind viele ansprechbar. Auch freuen sich viele, wenn ihr Pfarrer oder ihre Seelsorgerin sie beim Namen kennt und wahrnimmt. Darin sehe ich unseren Schwerpunkt für 2025: für die Menschen zu beten, sich ehrlich für sie zu interessieren und für sie da zu sein.
Die Fragen stellte Ingmar Jochum.