Von Elisabeth Heidinger
Oft fragt man sich heute, wenn der Nationalsozialismus die Kirche als letzte große moralische Bastion betrachtete und sie als einen seiner Hauptgegner ansah, warum er nicht noch schärfer gegen sie vorging. Eine mögliche Erklärung ist, dass ein härteres Vorgehen Unruhen in der Bevölkerung nach sich gezogen hätte. Hätten die Nationalsozialisten die Kirche frontal angegriffen, wären womöglich die Gläubigen zu offenem Protest bereit gewesen.
Die Ereignisse in Buch verdeutlichen, wie selbst ein kleines Dorf mit einer eigenen Ortskreisleitung die perfide Herrschaftslogik der Nationalsozialisten herausfordern konnte. Die Verhaftung von Pfarrer Othmar Gächter nach einer Denunziation durch lokale NS-Funktionäre und die drohende Überstellung nach Innsbruck mit anschließender Deportation in ein Konzentrationslager rüttelten an den Grundfesten des Gemeinschaftslebens. Sein plötzlicher Verlust zeigte den Menschen, dass die Willkür auch vor denjenigen nicht Halt machte, die ihnen Schutz und Orientierung boten.
Angeführt von mutigen Frauen formierte sich in Buch ein bemerkenswerter Widerstand. Tatsächlich entschlossen sich 26 Dorfbewohner:innen nach Bregenz zu reisen, um bei der NS-Kreisleitung und der Gestapo um Gächters Freilassung zu bitten. Gleichzeitig war ihr Protest ein Zeichen gegen die staatliche Repression, die ihre religiösen und moralischen Werte bedrohte.
In Bregenz stießen sie jedoch auf kalte Ablehnung, obwohl sie bei der Kreisleitung und der Gestapo argumentierten: Würde der Pfarrer nicht freikommen, so würden viele aus der NSDAP austreten, und Buch verlöre seine bewährte Ortsgruppenleitung, für die sich das Dorf so eingesetzt habe. Die Bitte der Bucher:innen verhallte ungehört, stattdessen wurden sie stundenweise scharf befragt. Als sie nach dem Scheitern ihres Anliegens zumindest eine Wallfahrt zur Mehrerau unternehmen wollten, hielt man sie erneut auf, verhörte sie stundenlang und suchte nach vermeintlichen Rädelsführerinnen. Antonia Stadelmann meldete sich als Verantwortliche. Weil viele von der Gruppe selbst Mitglied der NSDAP waren, entgingen sie dadurch einer Verhaftung. Als weitere Frauen, darunter Antonia Stadelmann, später Geld für den alten Vater des inhaftierten Pfarrers sammeln wollten, wurden sie endgültig für mehrere Wochen inhaftiert.
Der mutige Einsatz der Bucherinnen blieb ohne Erfolg: Gächter wurde nach Innsbruck überstellt und schließlich ins KZ Dachau deportiert. Die Gemeinde hatte vergeblich versucht, gegen das Regime aufzubegehren. Doch ihre Aktion belegt, dass selbst in den Fängen der Diktatur lokaler Widerstand möglich war – wenn auch unter größter Gefahr.
Aus heutiger Sicht lässt sich dieser Protest nicht romantisieren. Er verhinderte kein Unrecht und erschütterte nicht die Fundamente des Regimes. Dennoch zeigt er, dass nicht überall blind gehorcht wurde. In Buch gab es Menschen, die sich nicht völlig anpassen wollten, sondern den Mut fanden, für ihren Pfarrer und ihre Werte einzustehen. Bei der Gestapo gaben sie als Grund ihres Handelns an, für den Frieden der Gemeinde einzutreten. Dieser Versuch blieb ohne Erfolg, doch er macht deutlich, dass selbst unter totalitärem Druck Handlungsspielräume bestanden, in denen Menschen versuchten, ein Mindestmaß an Menschlichkeit zu verteidigen.
Artikel aus der KirchenBlatt-Serie "Unbotmäßig" im KirchenBlatt Nr. 47 vom 19. Dezember 2024. Zum Login der Digital-Ausgabe
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