Unmittelbar vor der Passionserzählung steht im Markusevangelium Jesu Rede von der Endzeit. Es handelt sich dabei um eine apokalyptische Vision, wie sie auch schon aus prophetischen Texten des Alten Testaments bekannt ist: Die Zeichen am Himmel, von denen Jesus spricht, finden sich auch bei Daniel, Haggai, Jesaja, Joël oder Sacharja. Die große Zahl an Propheten, die hier zitiert sind, verweist einmal mehr darauf, wie sehr Jesu Reden und Denken in der Tradition des Judentums verwurzelt ist und wie sehr er dies weiterdenkt.
Apokalypse ist eine Vision vom Kommen des Reiches Gottes, die mit gewaltigen, auch furchterregenden Bildern beschrieben wird. In der vorliegenden Markusstelle verbindet Jesus diese Bilder mit dem Auftrag zur Wachsamkeit: Alle sollten wissen, dass das Ende kommt; aber niemand weiß, wann.
Apokalypse kann aber auch ein Bild dafür sein, sich im Lichte Jesu mit der aktuellen Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Ökologische Katastrophen rund um den Klimawandel, die sozialen Verwerfungen weltweit und nah, Krieg ist nicht verschwunden, sondern ungeahnt neu zum Mittel der Politik geworden ...: Vieles in der Welt nimmt Formen apokalyptischer Bedrohung an. Es gibt aber Stimmen, die diese Bedrohungen verniedlichen oder gar leugnen.
Jesus ruft im Evangelium demgegenüber zu Aufmerksamkeit für die Welt auf – in der Perspektive eines (möglichen) Endes. Das Bild der Apokalypse vor Augen meint dann, im Mitgefühl für die Schöpfung und die Welt zu leben und zu handeln. Oder – mit einem vom Theologen und Philosophen Jürgen Manemann wieder aufgebrachten Begriff: Menschen dürfen nicht mit Apokalypse-Blindheit geschlagen sein.
Otto Friedrich ist Religionsjournalist, er war bis April 2024 stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Furche“. Kontakt: sonntag@koopredaktion.at
Aus dem KirchenBlatt Nr. 42 vom 14. November 2024. Zum Login der Digital-Ausgabe
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