Immer wieder berichten die Evangelien von Auseinandersetzungen Jesu mit den jüdischen Frommen und den Theologen seiner Zeit. Jesus tut dies oft mit klaren Worten und harscher Kritik, so wie die Propheten dem Volk Israel den Spiegel vorgehalten haben.
Schon in den ersten Jahrhunderten begannen Kirchenväter und andere christliche Theologen jedoch, aus diesen Auseinandersetzungen zu folgern, dass die Juden als Volk von Gott verworfen seien; und sie beschuldigten „die Juden“, für den Tod Jesu verantwortlich zu sein. Die Geschichte der christlichen Judenfeindschaft zieht sich über Jahrhunderte und bereitete den Boden für den Antisemitismus, der schließlich zur Judenvernichtung der Nationalsozialisten führte. Rund um den 9. November, dem Jahrestag der Novemberpogrome 1938, steht es Christinnen und Christen an, sich dieser schuldhaften Verstrickung ihrer Vorgänger im Glauben zu stellen. In der katholischen Kirche gelang es erst 1965 auf dem II. Vatikanischen Konzil, dem christlichen Antijudaismus abzuschwören.
Das bedeutet auch, die Evangelien niemals als gegen „die Juden“ gerichtet zu verstehen. Die vorliegende Markusstelle bietet da Anschauungsmaterial: Denn Jesus tritt hier wieder gegen Gelehrte seiner Zeit auf, die in ihrem Habitus über anderen Menschen wie einer einfachen Witwe zu stehen vermeinen. Doch nicht gegen „die Juden“ spricht Jesus an, sondern gegen Menschen, die andere ihren Dünkel und ihren Hochmut spüren lassen.
Solche Menschen finden sich bis heute genauso unter Christen. Die Scheinheiligkeit, die Jesus anprangert, ist anno 2024 so verbreitet wie vor 2.000 Jahren. Christinnen und Christen müssen sich befragen lassen, warum das auch bei ihnen immer noch so ist.
Lesen Sie weitere Berichte im KirchenBlatt Nr. 41 vom 07. November 2024. Zum Login der Digital-Ausgabe
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