Das Markusevangelium berichtet vom Gespräch eines Gelehrten mit Jesus, das ganz in der jüdischen Tradition steht. Auf die Frage nach dem höchsten Gebot zitiert Jesus das „Schʼma Jisrael“, das „Höre Israel ...“ aus der Tora, dem Buch Deuteronomium. Mit diesen Worten bekennen Juden bis heute ihren Glauben. Auch Jesus ist Jude, ganz selbstverständlich bekräftigt er das wichtigste Gebot und Gebet der Juden, wo Gott als „der einzige Herr“ benannt wird.
Und dann legt er das jüdische Grundgebot aus, indem er es mit anderen Aussagen der Tora unterstreicht: Jesus zitiert das Gebot der Nächstenliebe, das sich im Buch Levitikus findet. Er verbindet also die Aussagen über Gott, den Einen, den der Mensch „mit ganzem Herzen und ganzer Seele“ sowie mit ganzem Denken und ganzer Kraft lieben soll, mit den Anforderungen für ein gutes Leben: Wer Gott liebt, liebt auch den Nächsten.
Jesus steht hier in der rabbinischen Tradition, die Schrift auszulegen. Auch Rabbi Hillel, ein Zeitgenosse Jesu, hat das „Schʼma Jisrael“ auf ähnliche Weise mit lebenspraktischen Aussagen der Tora illustriert. Für seine Anhängerinnen und Anhänger, die Juden waren, ist Jesus ein jüdischer Rabbi – einer wie Hillel, dessen Auslegungen für das Judentum bis heute maßgeblich sind. Die Episode aus dem Markusevangelium zeigt, dass Jesus auf dem Boden des Tora-treuen Judentums steht. Und wenn er mit gläubigen Juden seiner Zeit streitet, tut er das durch seine Auslegung des Gesetzes, das Gott dem Volk Israel geoffenbart hat. Jesus und sein Judesein sind nicht zu trennen. Auch er war „Sohn der Tora“ – mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit ganzer Kraft.