Zum zweiten Mal berichtet das Markusevangelium, wie Jesus einen Blinden heilt. Hier geht es aber um viel mehr als bloß um die Heilung von einem körperlichen Gebrechen. Die Erzählung nimmt das Verhalten des Blinden ebenso in den Blick wie die Reaktion der Menschen, die dabei waren. Es ist ein kleines Drama, das sich da auf Jesu Weg von Jericho nach Jerusalem abspielt.
Auffällig ist, dass der Blinde mit seinem Namen identifiziert wird. Jesus wendet sich also einer konkreten Person und ihrem konkreten Leiden zu. Und Bartimäus involviert sich selbst ins Geschehen: Er wartet nicht auf ein göttliches Wunder, sondern drängt sich Jesus förmlich auf. Jesus lässt dies nicht nur zu, sondern gibt Bartimäus zu verstehen: Er muss selber tätig werden und sein Anliegen artikulieren. Er steht auf, wirft seinen Mantel weg, läuft auf Jesus
zu mit den Worten: „Ich möchte sehen
können!“
Mich fasziniert, dass Jesus dem Bartimäus eine derartig aktive Rolle zumutet. Wegen seines Glaubens und weil er diesen auch ausspricht, wird der Blinde geheilt. Heilung heißt, erzählt die Geschichte, die eigene Passivität zu überwinden und sich buchstäblich auf die eigenen Füße zu stellen.
Aber auch den Begleiterinnen und Begleitern Jesu kommt in diesem biblischen Drama eine Rolle zu: Sie wollen – ganz pragmatisch – den lästigen Bartimäus daran hindern, Jesus zu behelligen. Bartimäus muss also nicht nur die Aufmerksamkeit Jesu erlangen, sondern auch gegen den Widerstand der anderen anschreien. Auch derartige Erfahrungen machen Menschen bis heute. Viele Facetten menschlichen Verhaltens sind in dieser Geschichte fokussiert.
Otto Friedrich ist Religionsjournalist, er war bis April 2024 stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Furche“. Kontakt: sonntag@koopredaktion.at
Aus dem KirchenBlatt Nr. 39 vom 24. Oktober 2024. Zum Login der Digital-Ausgabe
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